Niederknien, um aufzustehen

Niederknien, um aufzustehen

Niederknien, um aufzustehen

© PantheraLeo1359531 / CC BY-SA

Dem Kniefall wurde in naher Vergangenheit eine neue Bedeutung zugesprochen, seit Colin Kaepernik, Spieler in der amerikanischen Football-Liga NFL keinen Nationalstolz mehr beim Abspielen der Nationalhymne demonstrieren wollte.

Anstatt wie alle anderen, stolz und gerade dazustehen bzw. sich bei der Hymne zu erheben, ging der Quarterback jeweils auf seine Knie. «To take a knee» war fortan eine öffentliche Pose des inneren Protests gegen Rassismus geworden.

Seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen weissen Polizisten wird das äussere Zeichen des Niederkniens als innerer Protest von der «Black Lives matter» Bewegung aufgenommen und zelebriert. Dabei ist immer nur ein Knie am Boden, während das zweite Bein doch bereit ist, wieder aufzustehen!

Aus dem gefangenen Sklaven, der zu früheren Zeiten vor seinen Herrn missmutig niederknien musste, wird nun der Freie, der sich paradoxerweise dadurch erhebt, dass er zunächst freiwillig auf seine Knie geht.

Der Bürgerrechtler John Lewis formulierte es so: «There is nothing wrong with kneeling down to stand up against injustice.” Das Niederknien wird neu als Zeichen der inneren Stärke und einer antiautoritären Haltung interpretiert. 

Oft wird das Niederknien (auf beide Knie) als unterwürfige Haltung gesehen, die sich zum Beispiel bei Krönungen, Ritterschlägen oder bei sakral-feierlichen Zeremonien der Kirche zeigt. Dabei beugt sich jeweils der Schwache vor dem Starken. Der sich kniende Mensch ist dabei zunächst Empfangender, bevor er erhöht wird. 

Eine spannende Dialektik, die natürlich nur beim Kniefals aus freien Stücken, so interpretiert werden kann. Die Körpersprache des Besiegten, der beim Knien seine Niederlage eingesteht, oder der Bittstellende, der damit seiner Bitte mehr Ausdruck verleihen möchte, ist es etwas anderes…

Als Bibelleser und Jesuskenner kommt mir dabei der Christushymnus aus dem Philipperbrief des Paulus in Sinn. Im zweiten Kapitel (2,6-11) heisst es von Jesus Christus, dass er sich entäusserte, also aus freien Stücken auf seine göttlichen Rechte verzichtete.

Jesus hat sich durch sein gehorsames Leiden und Sterben selbst erniedrigt, damit er anschliessend (nach seiner Auferweckung) doch wieder erhöht wird und den Namen (Ehrentitel) erhält, der über allen anderen Namen steht.

Sich selbst aus freien Stücken zu erniedrigen kann so auch als äusser(st)es Zeichen der inneren Stärke und vollen Hingabe (für Frieden und Gerechtigkeit) gedeutet werden.

Aufrechte Christen können im Blick auf (den vorbildlichen) Jesus auch knien. Nicht nur als Zeichen der göttlichen Demut und des frommen Unterwerfens, sondern auch im festen geistlichen Willen für ihn und sein bereits angebrochenes Reich der Himmel (wieder) auf- und einzustehen. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, wo wir wieder miteinander Gottesdienste feiern können, dass wir beim gemeinsamen Gebet solidarisch miteinander niederknien und damit unserer inneren Bereitschaft für Jesus Christus ein- und auch aufzustehen, zusätzlich zum Lippenbekenntnis, auch äusserlich durch unsere Körpersprache sichtbaren Ausdruck verleihen?!

Im Blick auf das zweite Kommen von Jesus Christus am Ende der Zeiten (siehe Offenbarung) geht man ebenfalls davon aus, dass sich alle Menschen, ganz gleich welcher Rasse oder Nation einmal vor ihm beugen werden.

Dabei stellt sich mir die persönlich entscheidende Frage: «Werde ich wohl freiwillig und aus eigenen Stücken mich vor dem Herrn aller Herrn beugen, oder gehöre ich vielleicht zu der Sorte von Bittstellern und Unterworfenen…?»

Niederknien, um aufzustehen ist jedenfalls schon lange ein tief ur-christliches Phänomen und mit dieser Paradoxie leben, glauben und bekennen wir uns, gemeinsam mit vielen anderen Christen weltweit und schon vor unserer Zeit, zu dem menschgewordenen, wieder in den Himmel aufgefahrenen und von dort auch wiederkommenden Jesus Christus.

 

… dass in dem Namen Jesus sich beugen sollen aller deren Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, … Phil. 2,10

Christian Seitz

Christian Seitz

Regionalleiter Mitte

Christian lebt in Zug, ist verheiratet und hat drei Kinder. Zur Region Mitte gehören Gemeinden in den Kantonen Aargau, Bern, Luzern, Schwyz, Uri, Zürich und Zug. Seine Leidenschaft gilt den Zweirädern, motorisiert oder nicht.

Geteilt ganz glauben

Geteilt ganz glauben

Geteilt ganz glauben

Credit: iStock.com/Mimadeo

Diese Woche bewegt mich der Psalm 27. David ringt um Nähe und Distanz mit Gott! Auf der einen Seite empfindet er sich als «ganz» und «integer», auf der anderen Seite als «geteilt» und «fragmentiert».

Ich spüre, wie ich da ganz David bin. Auf der einen Seite glaubt er ganz. Nichts kann ihn erschrecken – auch nicht massive Konfrontationen wie Krieg, Kriegsheere vor der Haustür oder irgendwelche Gegner und Übeltäter. Heute könnten wir von Corona-Viren, Klimaveränderung, Terroranschlägen und anderem reden. Seine Zuversicht überstrahlt alles: «Vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Zuflucht! Vor wem sollte ich erschrecken» (V1)? Übersetzt: Gott ist mein so starkes Zuhause, dass mich nichts und niemand verunsichern und ängstigen kann!

Doch dann – im Vers 4 – tönt es ein wenig anders, wenn er bittet: «Ich wünsche mir über alles, in der Nähe Gottes zu wohnen und seine Freundlichkeit zu sehen.» Plötzlich ist dieses Zuhause nicht mehr selbstverständlich. Dafür muss er beten. Er bittet weiter, dass Gott sein lautes Rufen hört, ihm gnädig ist. Auch das ist nicht selbstverständlich. Er sucht Gottes Angesicht und bittet gleichzeitig, dass Gott sich vor ihm nicht verbirgt, ja ihn im Zorn nicht wegweisst, ihn nicht verlässt. Weshalb ist die Geborgenheit bei Gott so rasch verloren gegangen? Im Vers 13 kann er zweifelnd beten: «Hätte ich doch die Gewissheit, die Güte des Herrn zu schauen» und muss dann seiner Seele zusprechen: «Hoffe auf den Herrn. Sei stark, dein Herz sei unverzagt. Hoffe auf den Herrn.»

David spricht tief aus meiner Seele. Wie oft geht es mir genau gleich. Ich suche Jesus und weiss nicht, ob er mich hört, weiss nicht, ob er bei mir ist. Ich muss es glauben, will es annehmen! Aber ganz ehrlich: Ich kann dich, Jesus, mit all meinen Sinnen kaum wahrnehmen. Was ist das für eine einseitige Beziehung, die wir miteinander haben? Gerade in unserer beziehungs- und erfahrungsorientierten Welt ist das eine riesige Herausforderung, dich kaum erleben zu können und Glauben nicht viel mehr scheint, als Ahnen und Hoffen. Gott bleibt mir so unerfahrbar fern. Und scheint mir die Beziehung oft als einseitig von mir – im nicht Sehen und nicht Hören. Könnte es sein, dass aus dieser Sehnsucht heraus viele «Hören auf Gottes Stimme» Seminare boomen? Helfen uns der Lobpreis- und Anbetungszeiten, Gott zu fühlen? Versuchen wir kontemplativen Rückzugszeiten, Gott neu und anders zu erfahren?

Ich meine bei David zu spüren: Es geht ihm wie mir! Er schwankt durch Momente der klaren Zuversicht, sehnsüchtiger Gottessuche und enttäuschtem Zweifel.

In mein Tagebuch habe ich heute geschrieben: «Jesus, ich weihe mich heute Morgen dir. Du bist mein Herr und mein Gott. Dir will ich gehören und dir will ich dienen. Ich halte auch dann an dir fest, wenn ich den Eindruck habe, dass ich die Beziehung auf diese Weise manchmal fast nicht mehr aushalte. Du bist und bleibst mein Gott, den ich von Herzen liebe.»

Beat Ungricht

Beat Ungricht

Regionalleiter Zürich

Beat ist mit Bea verheiratet, die beiden haben drei Kinder und leben in Elsau, Winterthur. In der Region Zürich begleitet er 22 Gemeinden und brennt dafür, dass Jesus durch uns und unsere Gemeinde erlebbar wird. Er liebt es, zu vernetzen, beraten, nah und weit zu denken und mutig zu agieren.