Kirchliche Führung in der VUKA-Welt

Kirchliche Führung in der VUKA-Welt

Kirchliche Führung in der VUKA-Welt

© liufuyu

Eine Frage, die sich gerade jetzt nach einigen Monaten der Pandemie-Erfahrung mit COVID-19 stellt, lautet: «Wie können wir als Chrischona Kirche jetzt, in unserer heutigen Welt ge-sellschaftsrelevant Christsein leben und gleichzeitig Menschen auf den biblischen Glauben aufmerksam machen?»

Eines ist dabei schon zum Vorschein gekommen und vielen klar: Einfach so mit Kirche weitermachen, wie das vor «Corona» gelebt wurde, wird in Zukunft wohl nicht mehr zielführend sein. Denn viele Christen stellen sich momentan die Frage, warum sie wieder Gottesdienste und gemeindliche Veranstaltungen regelmässig besuchen sollen, wenn es doch jetzt auch sehr leicht per livestream von zu Hause oder mobil von unterwegs möglich ist, online an Kirche teilzunehmen?

Das ursprünglich aus dem Militär stammende Akronym VUKA gab es bereits lange bevor von gesellschaftlichem «Lock-Down» und «sozialer oder physischer Distanz» die Rede war. Aber gerade durch die aktuelle Krise wurde vielen bewusst, dass sich unsere Welt nicht nur schneller bewegt und verändert, sondern dass sie auch wesentlicher komplexer zu verstehen ist und vieles unübersichtlich zusammenhängt. Unser Leben gleicht oft einem Mobilee, dass an einem Ort angestossen, an vielen anderen Stellen ebenfalls in Bewegung/Unruhe kommt.

VUKA bedeutet ausgeschrieben:

V          Volatilität

U         Unsicherheit

K          Komplexität

A          Ambiguität

VUKA bringt vier Herausforderungen auf den Punkt, denen sich Kirche in einer zunehmend globalisierend-digitalisierten Welt stellen muss. Das Zusammenspiel und die Abhängigkeit einzelner Fragestellungen zueinander kann man wie folgt definieren:

«Sind viele einzelne Teile miteinander verbunden (strukturelle Komplexität), so kann eine Veränderung in einem Teil eine Kettenreaktion bei anderen auslösen (Volatilität). Dadurch wird es viel schwieriger, die Situation richtig einzuschätzen (Ambiguität), was sichere Prognosen erschwert (Unsicherheit). Oder einfach erklärt: Niemand wird erklären und voraussagen können, was passiert und sich ändert, wenn man eine einzelne Spaghetti aus einem vollen Teller Nudeln mit seiner Gabel aus dem Teller „fischt“? An der einen Spaghetti bleiben vielleicht andere mit hängen, die Anordnung der gesamten Teigware auf dem Teller ändert sich und wird „durcheinander“ gebracht…

Noch bis vor wenigen Jahren hat man in unseren Kirchen (platonisch geprägt) meist sehr dualistisch gedacht. Man sprach entweder von «Himmel & Hölle», «gut oder böse», «konservativ oder liberal» und von «richtig oder falsch» Jede Ursache hatte ihre eigene Wirkung und jede Tat zog ihre eigene Konsequenz nach sich. Vieles wurde in solchen gegensätzlichen «Komplementär-Paaren» gedacht und beschrieben. Was ja durchaus auch Sinn macht, wenn man dem zu Grunde legt, dass es lediglich zwei Optionen gibt, zwischen denen zu wählen und auch zu unterscheiden ist.

Dennoch ist unsere Welt, wir Menschen und auch der biblische Glaube deutlich komplexer, als dass man es in einem bloss binären Denken verstehen und zusammenfassen könnte! (siehe Spaghetti-Teller) Duales Denken zeigt sich zwar gerade in Krisen extrem hilfreich, da in ausserordentlichen (Krisen-) Situationen oft schnell, zeitnah, für alle Betroffenen klar entschieden und gehandelt werden muss.

Allerdings zeigt uns schon die Trinität Gottes etwas von der Komplexität, die Gott nicht nur als Vater und Sohn veranschaulicht, sondern sich auch in der zusätzlich dritten Person des Heiligen Geistes manifestiert und uns offenbaren will. Schon diese geistliche Tatsache ist für manche Christen bereits eine (unüberschaubare) spirituelle Überforderung;-)

Nun steht es frei, sich über die Art und Weise, wie sich die Welt, unsere Umgebung und ihre Menschen in ihrer Vielfalt und gleichzeitigen Individualität präsentieren, aufzuregen. Man kann die Schnelllebigkeit, Optionenvielfalt und Komplexität, mit der sich Dinge heute verbinden entweder ignorieren, simplifizieren, oder aber sich auf sie einlassen und dadurch partizipieren.

Was man aus meiner Sicht aber nicht mehr kann, ist diese Diversität zu leugnen! Wir können uns als Kirche nicht der Tatsache entziehen, dass unsere (kirchliche) Welt nicht (mehr) zu überschauen und einfach, oder zwiefach zu erklären ist!

Daher braucht es heute christliche Führungskräfte (Pastoren), die sich dieser herausfordernden VUKA-Welt stellen und mit Gottes Hilfe bestmöglich, Kirche und ihre Mitglieder in dieser Herausforderung, führen. Der immer grösser werdenden Geschwindigkeit und der volantilen Dynamik von Veränderungen, sollte eine Vision entgegengesetzt werden, die den Zweck wichtiger macht als die Art und Weise, wie man einen bereits angedachten Plan umsetzt. Denn das «why» ist immer wichtiger als das «how». In der gegenwärtigen Form, dass und wie hybride Gottesdienste gestaltet werden, ist das bereits geschehen und dabei darf nicht stehengeblieben werden. Die gesellschaftlichen Schutz-Massnahmen von Corona werden noch weitere Planänderungen mit sich bringen, wie relevante Kirche zukünftig aufgestellt werden muss.

Die Unsicherheit in der Voraussehbarkeit, wie sich etwas entwickeln wird, braucht Mut auch kleine Schritte zu wagen, experimentierfreudig zu werden, ohne genau zu wissen, wo man am Ende ankommen oder landen wird. Langfristige Planung sollte nur noch in dem Masse geschehen, wie man auch die Bereitschaft hat, aufgrund zeitnaher Ereignisse, die erarbeiteten Pläne gegebenenfalls wieder in Frage zu stellen und in Folge der neuen Situation auch verwerfen zu können.

Bei der grossen Komplexität von Handlungs-, Wahl- und Interessenoptionen einzelner Individuen, braucht es einen noch gezielteren Fokus und eine betonte Klarheit, die dem unüberblickbaren (Meinungs-)Chaos innerhalb und ausserhalb der Kirche doch Sinn geben.

Da auch die christliche Welt mehrdeutig und viele biblische Themen breit interpretierbarer geworden sind, braucht es eine hohe Ambiguitätstoleranz von uns Christen, um die verschiedenen individuellen Wahrnehmungen zunächst auszuhalten, ohne sie gleich (alle) an- oder übernehmen zu müssen.

Eine neue geistliche Bescheidenheit ist notwendig, die sich auch zu den Grenzen menschlicher Plan- und Machbarkeit bekennt, ohne dabei gleich passiv oder lethargisch zu werden. Genauso wenig wie wir Menschen Gott (ganz) verstehen und (komplett) einordnen können, weil er transzendent und damit ausserhalb unserer Immanenz existiert, sollten wir anerkennen, dass wir auch das (kirchliche) Leben, wie es uns tagtäglich neu begegnet, nicht permanent steuern oder ständig beherrschen können.

Als Jesus Christus die Verantwortung für das neuentstandene christliche Start-Up an seine 12 Führungsleute überträgt, verabschiedet er sich mit der empathischen Wahrnehmung für seine Jünger: «In dieser (herausfordernden) Welt habt ihr Angst». Aber gleichzeitig empowert/ermächtigt er sie mit der tröstlichen Gewissheit seiner göttlichen Kompetenz, dass er «die Welt, seit seiner Auferstehung an Ostern, doch bereits für uns überwunden» hat.

Genau die Tatsache, dass Kirche von Jesus Christus bereits seit 2000 Jahren, in dieser sich ständig veränderten Welt Bestand hat, gibt Hoffnung und Zuversicht, dass wir den aktuellen und kommenden Herausforderungen gewachsen sind. Denn Jesus ist in diese Welt gekommen, um seine Kirche, gemeinsam mit uns zu bauen und nichts und niemand wird sie seiner Prognose nach, überwältigen können (Mt. 16,18). Aus diesem Grund ist der «Purpose» (Zweck, Absicht, Bestimmung) der Kirche wichtiger als das «How», also die Art und Weise wie sich Kirche zeigt und äussert. Es gilt die äusseren Erscheinungsformen und Strukturen von Kirche ständig den wechselnden Gegebenheiten anzupassen, denn «nichts ist so beständig wie der Wandel», äusserte sich schon der griechische Philosoph Heraklit. Während der kostbare Inhalt des befreienden Evangeliums von Jesus Christus, eine allgemein- und ewiggültige Botschaft ist, damit Menschen erstmals zu ihrem Schöpfergott finden und auch dauerhaft bei ihm bleiben.

Die VUKA-Welt kann einem Angst machen, muss es aber nicht! Denn wir leben mit der Zusage von Jesus Christus, dass er uns an jedem einzelnen Tag unseres Lebens und in unseren Aufgaben (Mission) begleitet, bis er wiederkommt. Dann wird Jesus die Gesamt-Situation so verändern, dass es nicht mehr vuka-mässig in der Welt zugehen wird, sondern innerliche Ruhe mit äusserer Gelassenheit einher geht… 

Christian Seitz

Christian Seitz

Regionalleiter Mitte

Christian lebt in Zug, ist verheiratet und hat drei Kinder. Zur Region Mitte gehören Gemeinden in den Kantonen Aargau, Bern, Luzern, Schwyz, Uri, Zürich und Zug. Seine Leidenschaft gilt den Zweirädern, motorisiert oder nicht.

Niederknien, um aufzustehen

Niederknien, um aufzustehen

Niederknien, um aufzustehen

© PantheraLeo1359531 / CC BY-SA

Dem Kniefall wurde in naher Vergangenheit eine neue Bedeutung zugesprochen, seit Colin Kaepernik, Spieler in der amerikanischen Football-Liga NFL keinen Nationalstolz mehr beim Abspielen der Nationalhymne demonstrieren wollte.

Anstatt wie alle anderen, stolz und gerade dazustehen bzw. sich bei der Hymne zu erheben, ging der Quarterback jeweils auf seine Knie. «To take a knee» war fortan eine öffentliche Pose des inneren Protests gegen Rassismus geworden.

Seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen weissen Polizisten wird das äussere Zeichen des Niederkniens als innerer Protest von der «Black Lives matter» Bewegung aufgenommen und zelebriert. Dabei ist immer nur ein Knie am Boden, während das zweite Bein doch bereit ist, wieder aufzustehen!

Aus dem gefangenen Sklaven, der zu früheren Zeiten vor seinen Herrn missmutig niederknien musste, wird nun der Freie, der sich paradoxerweise dadurch erhebt, dass er zunächst freiwillig auf seine Knie geht.

Der Bürgerrechtler John Lewis formulierte es so: «There is nothing wrong with kneeling down to stand up against injustice.” Das Niederknien wird neu als Zeichen der inneren Stärke und einer antiautoritären Haltung interpretiert. 

Oft wird das Niederknien (auf beide Knie) als unterwürfige Haltung gesehen, die sich zum Beispiel bei Krönungen, Ritterschlägen oder bei sakral-feierlichen Zeremonien der Kirche zeigt. Dabei beugt sich jeweils der Schwache vor dem Starken. Der sich kniende Mensch ist dabei zunächst Empfangender, bevor er erhöht wird. 

Eine spannende Dialektik, die natürlich nur beim Kniefals aus freien Stücken, so interpretiert werden kann. Die Körpersprache des Besiegten, der beim Knien seine Niederlage eingesteht, oder der Bittstellende, der damit seiner Bitte mehr Ausdruck verleihen möchte, ist es etwas anderes…

Als Bibelleser und Jesuskenner kommt mir dabei der Christushymnus aus dem Philipperbrief des Paulus in Sinn. Im zweiten Kapitel (2,6-11) heisst es von Jesus Christus, dass er sich entäusserte, also aus freien Stücken auf seine göttlichen Rechte verzichtete.

Jesus hat sich durch sein gehorsames Leiden und Sterben selbst erniedrigt, damit er anschliessend (nach seiner Auferweckung) doch wieder erhöht wird und den Namen (Ehrentitel) erhält, der über allen anderen Namen steht.

Sich selbst aus freien Stücken zu erniedrigen kann so auch als äusser(st)es Zeichen der inneren Stärke und vollen Hingabe (für Frieden und Gerechtigkeit) gedeutet werden.

Aufrechte Christen können im Blick auf (den vorbildlichen) Jesus auch knien. Nicht nur als Zeichen der göttlichen Demut und des frommen Unterwerfens, sondern auch im festen geistlichen Willen für ihn und sein bereits angebrochenes Reich der Himmel (wieder) auf- und einzustehen. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, wo wir wieder miteinander Gottesdienste feiern können, dass wir beim gemeinsamen Gebet solidarisch miteinander niederknien und damit unserer inneren Bereitschaft für Jesus Christus ein- und auch aufzustehen, zusätzlich zum Lippenbekenntnis, auch äusserlich durch unsere Körpersprache sichtbaren Ausdruck verleihen?!

Im Blick auf das zweite Kommen von Jesus Christus am Ende der Zeiten (siehe Offenbarung) geht man ebenfalls davon aus, dass sich alle Menschen, ganz gleich welcher Rasse oder Nation einmal vor ihm beugen werden.

Dabei stellt sich mir die persönlich entscheidende Frage: «Werde ich wohl freiwillig und aus eigenen Stücken mich vor dem Herrn aller Herrn beugen, oder gehöre ich vielleicht zu der Sorte von Bittstellern und Unterworfenen…?»

Niederknien, um aufzustehen ist jedenfalls schon lange ein tief ur-christliches Phänomen und mit dieser Paradoxie leben, glauben und bekennen wir uns, gemeinsam mit vielen anderen Christen weltweit und schon vor unserer Zeit, zu dem menschgewordenen, wieder in den Himmel aufgefahrenen und von dort auch wiederkommenden Jesus Christus.

 

… dass in dem Namen Jesus sich beugen sollen aller deren Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, … Phil. 2,10

Christian Seitz

Christian Seitz

Regionalleiter Mitte

Christian lebt in Zug, ist verheiratet und hat drei Kinder. Zur Region Mitte gehören Gemeinden in den Kantonen Aargau, Bern, Luzern, Schwyz, Uri, Zürich und Zug. Seine Leidenschaft gilt den Zweirädern, motorisiert oder nicht.

Christian F. Spittler

Christian F. Spittler

Christian F. Spittler

Zukunft braucht Herkunft. Im Rahmen einer Serie setzen wir uns daher mit unseren Wurzeln auseinander. Wir beleuchten Persönlichkeiten und Umstände, die für unsere Gründerzeit prägend waren. Teil 2 beleuchtet den Gründer der Pilgermission.

Es war der 8. März 1840, genau vor 180 Jahren, als Spittler gemeinsam mit dem Schreinermeister Epple und seiner Adoptivtochter Susette in dem zerfallenen Kirchlein St. Chrischona betend niederknien, um das verwahrloste Gotteshaus als Ausgangspunkt ihres kirchlichen Start-Up-Unternehmen zu weihen.

Genau genommen war es bereits der mindestens vierte Versuch eine Pilgermissionsanstalt für Handwerker ins Leben zu rufen, nachdem Spittlers Anläufe in Kandern, Grenzach-Wyhlen (ehemaliges Kloster Himmelspforte) und Riehen gescheitert waren. Dieses Mal allerdings zündete seine innovative Idee, dass man auf St. Chrischona erstmals praktische Handwerker biblisch-theologisch ausbildet, damit diese anschliessend als wandernde Pilgermissionare und Bibelkolporteure national und international auf Reisen geschickt werden, um Menschen auf Jesus Christus hinzuweisen.

Frei nach dem Motto: «Global denken und lokal handeln, gründete Spittler ca. 30 sozial-christliche Unternehmen, die durch verschiedenste Aussenstationen auf mehreren Kontinenten breit verteilt aufgestellt waren. So hatte Chrischona bereits Ende des 19. Jahrhunderts mitunter «Filialen» in Texas, Israel, Russland, Deutschland, Jugoslawien, Äthiopien und China.

Obwohl Spittler als überzeugter Nichtraucher galt, lautete sein Credo:

«Was hilft’s, wenn wir beim warmen Ofen und einer Pfeife Tabak die Notstände der Zeit bejammern, Hand anlegen müssen wir, und sei es auch ganz im Kleinen.»

Wie bescheiden der ideenreiche Tausendsassa dabei über sich selbst und seine innovativen christlichen Projekte urteilte wird an folgendem Zitat deutlich:

«Der Herr hat nebenbei bewiesen, dass er auch das Nichts, (das) gar Nichts aus grosser Gnade zu etwas machen will und kann.»

Auch wenn Spittler bei zahlreichen grösseren Start-Ups (Basler-Missionsgesellschaft, Schullehrer-Anstalt in Beuggen, Diakonissen-Anstalt in Riehen, Taubstummen-Anstalt in Beuggen, oder Kinderspital in Klein-Basel) beteiligt war, verlor er dabei den einzelnen Menschen und dessen Bedürfnisse nie aus dem Blick. Sein Mission-Statement definierte er mit folgenden Worten:

«Den Strom des Verderbens können wir zwar nicht aufhalten; aber unsere Sache ist es, einzelne aus demselben herauszuretten; und es gibt nichts Anziehenderes und Interessanteres als in dieser Weise für den Herrn zu arbeiten.»

Parallel zu seiner sozial-missionarischen Ausrichtung, dass Menschen erstmals von Jesus hören und ihnen sozial-diakonische Hilfe durch praktische christliche Nächstenliebe zu Teil wird, war es Spittler auch ausserordentlich wichtig, dass Christen nicht wieder «rückfällig» werden, und sich irgendwann von Glauben, Kirche und Bibel wieder verabschiedeten. Aus diesem Grund prägte und wiederholte Spittler bei vielen Gelegenheiten immer wieder den Slogan:

«Es ist nicht genug, durch das Evangelium die Heiden zu Christen zu machen, wir müssen auch sorgen, dass unsere Christen nicht wieder Heiden werden.»

Bei vielen Erfolgen, die Spittler immer wieder verzeichnen konnte, hatte er aber auch permanent mit Herausforderungen und Niederlagen zu kämpfen. Oft fehlte es an finanziellem Kapital für seine Projekte, oder man verweigerte ihm von höherer Ebene die Zustimmung für geplante Vorhaben. Immer wieder verliessen auch treue Mitarbeitende das Unternehmen und auch damals schon gab es eine Art kirchlichen Fachkräftemangel. Doch Spittler war nicht problem-, sondern stets lösungsorientiert. «Neue Not, neue Hilfe!», lautete seine Maxime. In jeder Krise, sah er zeitgleich auch eine Chance, in der sich Gottes unterstützende Grösse offenbaren kann.

«Wir wollen aber nicht sowohl auf die Schwierigkeiten als vielmehr auf die allmächtige Hilfe dessen sehen, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden.»

Durch sein aussergewöhnlich organisatorisches Talent und seine beziehungsorientierte Art hatte sich Spittler, als Sekretär bei der Basler-Missionsgesellschaft ein grosses Netzwerk an internationalen Partnern & kirchlichen Verbündeten aufgebaut. Allein seine schriftliche Korrespondenz umfasste ca. 25.000 Briefe. Heute hätte Spittler sicher viele «Follower» und «Freunde» auf sozialen Netzwerken, um sich mit Gleichgesinnten zu verbünden und über aktuelle Geschehen im kirchlichen Kontext informiert zu sein. Spittler war überzeugter Christ mit Unternehmensgeist, der stark an Allianzen interessiert war und sich bewusst in kirchliche Kollaborationen investierte. «Wo er auf echtes Christsein stösst, ist es ihm egal, ob die Leute Katholiken, Lutheraner oder Reformierte sind.» Schon vor 200 Jahren bemängelte er die kirchliche Zersplitterung und das christliche Silo-Denken, da es so viele wichtige Ressourcen absorbiert, um sich sozial-missionarisch und gesellschaftsrelevant zu investieren. «Ach, ich möchte Blut weinen, wenn Männer, von denen ich zuverlässig weiss, dass sie in Hauptpunkten einig sind, sich in untergeordneten Punkten streiten.»

Trotz seinem nie ruhenden Geschäftssinn und seiner permanenten Investitionsbereitschaft für neue christliche Start-Ups, war sich Spittler sehr bewusst, dass er lediglich als «Handlanger Gottes» und nur als ein Angestellter in Gottes Reich beschäftigt ist. Immer wieder musste er seinen eigenen Elan bremsen, um Gottes Absichten nicht «vorauszueilen». Die wirkliche Innovationskraft für seine Projekte bekam der Tausendsassa, allerdings nicht aus sich selbst heraus, sondern er formulierte Erfolge wie folgt:

«Wir müssen eben warten, bis sich eins ums andere entwickelt. Unser Glaube muss geübt und ins Gebet getrieben werden, eher er siegen kann.»

Welch ein «ideenreicher Tausendsassa und innovativer Start-Up Gründer» Spittler wirklich war, bringt die Todesanzeige eines Missionsblattes der Baslermission 1867 auf den Punkt:

«Als Sekretär der deutschen Christentumsgesellschaft gingen ihm durch die Korrespondenz und die persönliche Bekanntschaft mit vielen Gottesmännern erst recht die Augen auf über das unermessliche Elend der Menschheit und über die Liebe und Kraft Gottes und Jesu Christi. Dies ergriff er mit fester Glaubenszuversicht und tatkräftiger Liebe; und hingebungsvoll, furchtlos, in hohem Grad erfinderisch, unermüdlich, unwiderstehlich, wie er von Natur aus schon war, und durch Gottes Gnade immer mehr wurde, schritt er nun an die Gründung einer menschenfreundlichen und christlichen Anstalt nach der anderen: Pläne sinnend, Freunde für sie suchend und gewinnend, Gelder sammelnd, Komitees organisierend; wenn die Sache im Gang, sich zurückziehend; wenn sie ins Stocken geraten wollte, wieder hervortretend und abermals verschwindend, aber bis ins hohe Alter und bis aufs Sterbelager die Überzeugung festhaltend, immer noch mehr könne und solle und müsse geschehen für das Heil der Verlorenen, und das sei sein von Gott ihm angewiesener Beruf.»

Christian Friedrich Spittler war ein begnadeter Netzwerker, ein Organisationsgenie und Meister im Sammeln von Spenden. Immer wieder suchte er nach Antworten auf die Not seiner Zeit. Sein Lieblingswerk wurde die 1840 von ihm gegründete Pilgermission St. Chrischona in Bettingen.

Christian Seitz

Christian Seitz

Regionalleiter Mitte

Christian lebt in Zug, ist verheiratet und hat drei Kinder. Zur Region Mitte gehören Gemeinden in den Kantonen Aargau, Bern, Luzern, Schwyz, Uri, Zürich und Zug. Seine Leidenschaft gilt den Zweirädern, motorisiert oder nicht.