Merkmale echter Chrischona Gemeinden

Merkmale echter Chrischona Gemeinden

Merkmale echter Chrischona Gemeinden

Zukunft braucht Herkunft. Im Rahmen einer Serie setzen wir uns daher mit unseren Wurzeln auseinander. Wir beleuchten Persönlichkeiten und Umstände, die für unsere Gründerzeit prägend waren. Teil 4 widmet sich drei charakteristischen Merkmalen der ersten Gemeindegründungen.

Ein Jahr nach dem Versterben von Carl-Heinrich Rappard schrieb seine Frau Dora 1910 seine Biografie. Sie enthält wichtige Hinweise dafür, wie innerhalb von 40 Jahren über 60 Chrischona Gemeinden gegründet werden konnten. Drei Aspekte waren offenbar entscheidend.

Einladung an Menschen

1869 wurde Wilhelm Baumbach als erster Evangelist von St. Chrischona nach Mattwil (TG) gesandt. 1871 waren es bereits vier Evangelisten in verschiedenen Regionen der Schweiz. 1872 kam Markus Hauser als Evangelist nach Mattwil, um die Arbeit des inzwischen verstorbenen Wilhelm Baumbach weiterzuführen. Er reiste von Ort zu Ort und hielt stark besuchte Stubenversammlungen. Weil die Wohnzimmer bald zu klein wurden, erbauten Gläubige der Region in Mattwil die erste Chrischona-Kapelle mit Platz für 250 Personen. Sie wurde am 10. August 1873 eingeweiht.

Die ersten Gemeindegründer nannte man „Evangelisten“ und sie verstanden sich auch als solche. Sie wollten, dass die Menschen die christliche Botschaft nicht nur vom Hörensagen her kannten. Man folgte der Vision, dass sich Menschen vom Evangelium berühren und zu einem Leben mit Jesus einladen lassen. Rappard schrieb über die Evangelisten: „Die Umstände bringen es mit sich, dass sie unter den für Jesus Gewonnenen auch als Hirten und Lehrer zu wirken haben, wie denn auch mancher ‚Hirte‘ entschieden in evangelistischer Weise arbeitet.“ Es ging diesen Evangelisten um „innere Mission“ unter „Namenchristen“.

Die ersten Gemeindegründer wurden „Evangelisten“ genannt. Sie wollten Menschen zu einer lebendigen Beziehung mit Jesus einladen und sie in dieser Beziehung stärken. Lasst uns diese gewinnende Sucherorientierung weiterhin hochhalten!

Bekenntnis zu Jesus und zur Bibel

In den 1870er-Jahren wurde in den schweizerischen evangelischen Landeskirchen die Verpflichtung auf das Apostolische Glaubensbekenntnis aufgehoben. Dies führte dazu, dass nicht-liberale Pfarrer und Gläubige sich von den Landeskirchen distanzierten und neue Gemeinschaften gründeten, unter anderem Chrischona Gemeinden.

Rappard wollte ursprünglich keine eigene Chrischona Kirche gründen. Er erklärte noch 1900: „Wir wollen keine neue Denomination einführen.“ Stattdessen wolle man Menschen zu Jesus führen und „die zu ihm Gebrachten“ in Gemeinschaften sammeln und pflegen. Rappard war überzeugt, dass diese Arbeit in der Landeskirche Raum habe. Er betont die Tatsache, dass überall da, wo lebendige Gemeinschaften sind, „der Besuch der kirchlichen Gottesdienste (sofern sie von gläubigen Seelsorgern gehalten sind) ein regerer geworden ist.“ Von ausserhalb kategorisierte man diese Gemeinschaftsarbeit mit ihren Erbauungs-, Bibel- und Gebetsstunden zum Teil in einer abwertenden Weise als „Stündeliwesen“, ihre Teilnehmenden als „Stündeler“. Trotz ursprünglich anderer Absicht traten aber dann mit der Zeit zahlreiche Gläubige aus den Landeskirchen aus und aus den Erbauungs-Versammlungen wurden Chrischona Gemeinden. Rappard stellte später fest: „Wo die Vertreter der Landeskirche den biblischen Boden verlassen haben und einen andern Christus verkündigen, als die Apostel es taten, bleiben die Gemeinschaftsglieder von solchen Gottesdiensten fern.“ Mit pointierten Worten erklärte Rappard schliesslich: „Wir sind es, die in der Kirche bleiben, die wir das Bekenntnis festhalten, auf dem die Kirche ruht: ‚Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.‘ Die diesen Felsengrund aufgeben, das sind die ‚unkirchlichen Leute‘.“ Und er machte deutlich, woran sich dies zeigen soll:

„Um zu widerstehen den vielen Versuchungen unserer Zeit, ist es nötig, zu bleiben auf den alten, klaren, bewährten Wegen der Bibel. Dann wird man nicht irren, weder nach rechts in unnüchterne Überschwenglichkeiten, noch nach links in Lauheit und Weltförmigkeit.“

Die ersten selbstständigen Chrischona Gemeinden entstanden in Abgrenzung zu einer liberalen, rationalistischen, bibelkritischen Theologie. Trotz teilweisen Verunglimpfungen hielt man am vollen Vertrauen in die Bibel fest. Lasst uns diese gegründete Theologie weiterhin hochhalten!

Wirken des Heiligen Geistes

Rappard schrieb: „Dass in unseren Kirchen, Versammlungen und Anstalten landauf, landab ein tiefes Bedürfnis ist nach geistlicher Erleuchtung und Kraft, ist nicht zu leugnen.“ Und auf die Frage, wie Erweckung geschehen kann, antwortete er: „Werden die Kinder Gottes lebendig, tun wir aufrichtig Busse, lassen wir uns reinigen, und erwacht in uns der Geist des Gebets, so wird Gott antworten.“ Woraufhin er fragt: „Warum soll das Wort Jesu sich nicht erfüllen, dass von denen, die an Ihn glauben, Ströme lebendigen Wassers [des Heiligen Geistes] fliessen sollen?“ An anderer Stelle betont er:

„Was wir brauchen, wenn wir Zeiten der Erweckung erleben wollen, das sind nicht [in erster Linie] neue Methoden und Ausdrücke, sondern es sind geisterfüllte Menschen, in deren Herzen das Feuer des Herrn brennt und die darum dieses heilige Feuer verbreiten. … Wir müssen uns von dem Heiligen Geist als Werkzeuge gebrauchen lassen und so gefügig werden in der Hand Gottes, wie die Feder in der Hand des Schreibers … damit wir, wenn der Herr uns dazu treibt, die Schranken althergebrachter Sitten durchbrechen können.“

Erweckliche Aufbrüche geschahen durch das Wirken des Heiligen Geistes. Durch Busse und Gebet suchte man als Gläubige die Erfüllung mit dem Heiligen Geist. Lasst uns diese lebendige Spiritualität weiterhin hochhalten!

Die Kombination ist entscheidend

Authentische Sucherorientierung, gegründete Theologie und lebendige Spiritualität lassen sich verbinden und müssen geradezu miteinander verbunden werden.

Unser Bekenntnis und unsere Spiritualität sind ohne Einladung an unsere Mitmenschen egoistisch. Unserer Sucherorientierung und unserer Spiritualität fehlt ohne Bekenntnis zu Jesus und zur Bibel die verlässliche Grundlage. Unsere Einladung und unsere Theologie sind ohne Wirken des Heiligen Geistes kraftlos.

Wir brauchen alle drei Aspekte:
• Einladung an Menschen (authentische Sucherorientierung)
• Bekenntnis zu Jesus und zur Bibel (gegründete Theologie)
• Wirken des Heiligen Geistes (lebendige Spiritualität)

Dies galt zumindest für die ersten Chrischona Gemeinden? Gilt dies heute noch? Sind andere Aspekte entscheidender? Was wird uns auch in die Zukunft führen?

Christian Haslebacher

Christian Haslebacher

Regionalleiter Ostschweiz und Vorsitzender

Christian ist verheiratet mit Annette, hat drei Kinder und lebt im Thurgau. Er ist neben seinem Job als Regionalleiter auch Vorsitzender des Leitungsteam von Chrischona Schweiz. Er liebt gute Diskussionen.

Carl-Heinrich Rappard

Carl-Heinrich Rappard

Carl-Heinrich Rappard

Zukunft braucht Herkunft. Im Rahmen einer Serie setzen wir uns daher mit unseren Wurzeln auseinander. Wir beleuchten Persönlichkeiten und Umstände, die für unsere Gründerzeit prägend waren. Teil 3 widmet sich dem zweiten Leiter der Pilgermission.

Innert 37 Jahren war Carl-Heinrich Rappard mitbeteiligt an über 60 Gemeindegründungen. Der damalige Leiter des Chrischona-Werks hatte 1869 den ersten Missionar in die Schweiz ausgesandt. Wenige Wochen vor seinem Tod eröffnete Rappard im Thurgau das 62. Vereinshaus. Damit ist Carl-Heinrich Rappard der geistliche Vater unseres Movements.

Angefangen hat diese explosionsartige Gemeindegründungsbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts, durch eine tiefe Krise im Leben einiger christlichen Leiter. Rappard war damals Leiter der Pilgermission und einer derjenigen, der an der Oberflächlichkeit der Christen litt. Die Sehnsucht nach neuer voller Hingabe und Ausrüstung mit dem Heiligen Geist prägten sein Leben. Er schrieb damals (Rappard Dora 1910:29):

«Herr lass uns Leute werden, wie es die ersten Diakone waren: Männer voll Glaubens und Heiligen Geistes.»

Rappard war ein sehnsüchtiger Mann, der den Segen Gottes suchte, der bereit war, alles zu tun, damit Gott wirken kann. Und er litt darunter, wenn Menschen im Glauben unentschlossen und lau waren. Er betete regelmässig kniend vor Gott und bat um das Wirken des Heiligen Geistes.

1874 nahm er mit seinem Schwager an der Erweckungskonferenz in Oxford teil, an welcher 3000 Teilnehmer innere Erneuerung suchten. Obschon die meisten dort bereits engagierte Christen waren, hatten sie ein inneres Verlangen nach mehr Freude an Gott und nach mehr Verwirklichung des Reiches Gottes.

Nach einer intensiven Konferenzzeit der Hingabe und der Busse erlebte Rappard während einer Nacht ein neues Aufatmen in der Gegenwart Gottes. Er schreibt (Rappard 1875:9):

«Ich muss es freudig bezeugen, dass ich einmal auf meinem Lager während mehrerer Stunden der Nacht nichts anderes tun konnte, als den süssen Vaternamen in meinem Herzen zu bewegen. ⦋…] Ein seit der ersten Liebe schmerzlich vermisster oder auch wohl noch nie gekannter Friede mit einem freudigen Gefühl der Nähe eines versöhnten Gottes erfüllte die Herzen.»

Für viele Teilnehmer war diese Begegnung mit Gottes Gnade und Liebe eine Antwort auf die Suche nach einer inneren Erneuerung durch Gottes Geist. Rappard schreibt später darüber in der Schrift «des Christen Glaubensweg» (1875:11/Bd1):

«Das auf den Altar gelegte, lebendige Opfer empfängt das Feuer von Gott.»

Reich mit diesen wertvollen Erkenntnissen reiste Rappard zurück in die Schweiz, wo er auf St. Chrischona ähnliche Erweckungsveranstaltungen durchführte, die ebenso zu neuer Hingabe und Erweckung unter den Studenten führte.

Rappards Berichte über seine Erfahrungen öffneten überall in der Schweiz die Türen. Eine geistliche Erweckung begann viele Menschen zu erfassen, sowohl Christen wie Nichtchristen. Rappard war einer der ersten, der in Basel Evangelisationsveranstaltungen einführte. Er wollte möglichst viele Menschen zu einer Begegnung mit der Kraft und Gegenwart Gottes einladen. 1875 mietete er ein altes Zirkuszelt für ein paar Tage zum Thema «Helle Wochen», um dort mit O. Stockmeyer, E. Schrenk, A. Vischer und J.J. Riggenbach zu evangelisieren. Rappard sagt später zu seiner Frau, dass Menschen zu Jesus rufen «meine Lust» ist (D. Rappard 1919:41). Er führte tatsächlich viele Menschen zu einem lebendigen Glauben und begann eine intensive Reisetätigkeit als Evangelist in der Schweiz und in ganz Europa.

Die Motivation für seine Berufung fasst er folgendermassen zusammen (1877:222/Bd3):

«Der versöhnten Seele zu bezeugen, wie sie in Wahrheit durch völlige Übergabe und völligem Glauben bis zu dem persönlichen Jesus hindurchdringen solle, um dann an dieser Quelle aller Segnungen und aller Heiligung zu bleiben, auch mitten in der Unruhe des irdischen Lebens.»

Diese Erneuerungsbewegung verbunden mit evangelistischen Aktivitäten in der ganzen Schweiz brachte einen geistlichen Aufbruch. Nicht nur Rappard, auch andere Leiter und Pastoren erlebten eine Erweckung und erzählten davon. Die Hingabe, die Neuausrüstung mit dem Heiligen Geist war der Anfangspunkt einer flächenartigen Erweckung in der Schweiz. Viele Gemeinden wurden gegründet. Chrischona Gemeinden entstanden zuerst im Thurgau, dann in der Westschweiz und im Aargau.

Ich habe mich gefragt, warum gerade zu dieser Zeit eine solche Erweckung Fuss fassen konnte. C.H. Rappard gibt uns dazu einen entscheidenden Hinweis, der das Empfinden der damaligen Zeit widerspiegelt. Er schreibt über seine erste Zeit im Dienst für Gott, noch bevor er in Oxford die innere Erneuerung erlebt hat (CGW 1875:4/Bd1):

«Ich bin überzeugt, dass Tausende von gläubigen Christen mich verstehen werden, wenn ich sage, dass ich seit meiner Bekehrung zum Herrn und einer zehnjährigen Arbeitszeit als Zeuge des Evangeliums, oft schmerzlich den Mangel an innerer Heiligung vermisste.»

Warum wohl? Pietisten waren eifrige Leute, Umsetzer der biblischen Wahrheiten, Bibelkenner, die ihren Glauben praktisch umsetzten, aber ihre «Arbeit für den Herrn» liess der Innerlichkeit zu wenig Platz. Auf dem aktivistischen Boden des Pietismus wirkte die Entdeckung der Liebe von Jesus und der Gegenwart des Heiligen Geistes wie frische Luft für die müden Arbeiter. Ein Aufatmen ging durch die Reihen, vor allem deshalb, weil nicht nur Christus wortreich in den Mittelpunkt gestellt wurde, sondern seine Kraft und seine Gegenwart die müden Herzen tatsächlich berührte und erneuerte.

So ist es! Das Chrischona Movement in der Schweiz wurde durch begeisterte Anhänger von Jesus und das Wirken des Heiligen Geistes gegründet. Wir sind entstanden aus einer Jesusbegegnung und einer Geist Gottes Bewegung! Was heisst das für heute?

Stefan Fuchser

Stefan Fuchser

Regionalleiter Romandie/Basel/Ticino und Leiter Gemeindepflanzungsteam

Stefan ist verheiratet mit Prisca und hat drei erwachsene Kinder. Er ist für die flächenmässig grösste Chrischona-Region zuständig und macht sich in unserem Team für Gemeindegründungen, Weiterbildung der Pastoren und die Mehrsprachigkeit unseres Movements stark.

Christian F. Spittler

Christian F. Spittler

Christian F. Spittler

Zukunft braucht Herkunft. Im Rahmen einer Serie setzen wir uns daher mit unseren Wurzeln auseinander. Wir beleuchten Persönlichkeiten und Umstände, die für unsere Gründerzeit prägend waren. Teil 2 beleuchtet den Gründer der Pilgermission.

Es war der 8. März 1840, genau vor 180 Jahren, als Spittler gemeinsam mit dem Schreinermeister Epple und seiner Adoptivtochter Susette in dem zerfallenen Kirchlein St. Chrischona betend niederknien, um das verwahrloste Gotteshaus als Ausgangspunkt ihres kirchlichen Start-Up-Unternehmen zu weihen.

Genau genommen war es bereits der mindestens vierte Versuch eine Pilgermissionsanstalt für Handwerker ins Leben zu rufen, nachdem Spittlers Anläufe in Kandern, Grenzach-Wyhlen (ehemaliges Kloster Himmelspforte) und Riehen gescheitert waren. Dieses Mal allerdings zündete seine innovative Idee, dass man auf St. Chrischona erstmals praktische Handwerker biblisch-theologisch ausbildet, damit diese anschliessend als wandernde Pilgermissionare und Bibelkolporteure national und international auf Reisen geschickt werden, um Menschen auf Jesus Christus hinzuweisen.

Frei nach dem Motto: «Global denken und lokal handeln, gründete Spittler ca. 30 sozial-christliche Unternehmen, die durch verschiedenste Aussenstationen auf mehreren Kontinenten breit verteilt aufgestellt waren. So hatte Chrischona bereits Ende des 19. Jahrhunderts mitunter «Filialen» in Texas, Israel, Russland, Deutschland, Jugoslawien, Äthiopien und China.

Obwohl Spittler als überzeugter Nichtraucher galt, lautete sein Credo:

«Was hilft’s, wenn wir beim warmen Ofen und einer Pfeife Tabak die Notstände der Zeit bejammern, Hand anlegen müssen wir, und sei es auch ganz im Kleinen.»

Wie bescheiden der ideenreiche Tausendsassa dabei über sich selbst und seine innovativen christlichen Projekte urteilte wird an folgendem Zitat deutlich:

«Der Herr hat nebenbei bewiesen, dass er auch das Nichts, (das) gar Nichts aus grosser Gnade zu etwas machen will und kann.»

Auch wenn Spittler bei zahlreichen grösseren Start-Ups (Basler-Missionsgesellschaft, Schullehrer-Anstalt in Beuggen, Diakonissen-Anstalt in Riehen, Taubstummen-Anstalt in Beuggen, oder Kinderspital in Klein-Basel) beteiligt war, verlor er dabei den einzelnen Menschen und dessen Bedürfnisse nie aus dem Blick. Sein Mission-Statement definierte er mit folgenden Worten:

«Den Strom des Verderbens können wir zwar nicht aufhalten; aber unsere Sache ist es, einzelne aus demselben herauszuretten; und es gibt nichts Anziehenderes und Interessanteres als in dieser Weise für den Herrn zu arbeiten.»

Parallel zu seiner sozial-missionarischen Ausrichtung, dass Menschen erstmals von Jesus hören und ihnen sozial-diakonische Hilfe durch praktische christliche Nächstenliebe zu Teil wird, war es Spittler auch ausserordentlich wichtig, dass Christen nicht wieder «rückfällig» werden, und sich irgendwann von Glauben, Kirche und Bibel wieder verabschiedeten. Aus diesem Grund prägte und wiederholte Spittler bei vielen Gelegenheiten immer wieder den Slogan:

«Es ist nicht genug, durch das Evangelium die Heiden zu Christen zu machen, wir müssen auch sorgen, dass unsere Christen nicht wieder Heiden werden.»

Bei vielen Erfolgen, die Spittler immer wieder verzeichnen konnte, hatte er aber auch permanent mit Herausforderungen und Niederlagen zu kämpfen. Oft fehlte es an finanziellem Kapital für seine Projekte, oder man verweigerte ihm von höherer Ebene die Zustimmung für geplante Vorhaben. Immer wieder verliessen auch treue Mitarbeitende das Unternehmen und auch damals schon gab es eine Art kirchlichen Fachkräftemangel. Doch Spittler war nicht problem-, sondern stets lösungsorientiert. «Neue Not, neue Hilfe!», lautete seine Maxime. In jeder Krise, sah er zeitgleich auch eine Chance, in der sich Gottes unterstützende Grösse offenbaren kann.

«Wir wollen aber nicht sowohl auf die Schwierigkeiten als vielmehr auf die allmächtige Hilfe dessen sehen, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden.»

Durch sein aussergewöhnlich organisatorisches Talent und seine beziehungsorientierte Art hatte sich Spittler, als Sekretär bei der Basler-Missionsgesellschaft ein grosses Netzwerk an internationalen Partnern & kirchlichen Verbündeten aufgebaut. Allein seine schriftliche Korrespondenz umfasste ca. 25.000 Briefe. Heute hätte Spittler sicher viele «Follower» und «Freunde» auf sozialen Netzwerken, um sich mit Gleichgesinnten zu verbünden und über aktuelle Geschehen im kirchlichen Kontext informiert zu sein. Spittler war überzeugter Christ mit Unternehmensgeist, der stark an Allianzen interessiert war und sich bewusst in kirchliche Kollaborationen investierte. «Wo er auf echtes Christsein stösst, ist es ihm egal, ob die Leute Katholiken, Lutheraner oder Reformierte sind.» Schon vor 200 Jahren bemängelte er die kirchliche Zersplitterung und das christliche Silo-Denken, da es so viele wichtige Ressourcen absorbiert, um sich sozial-missionarisch und gesellschaftsrelevant zu investieren. «Ach, ich möchte Blut weinen, wenn Männer, von denen ich zuverlässig weiss, dass sie in Hauptpunkten einig sind, sich in untergeordneten Punkten streiten.»

Trotz seinem nie ruhenden Geschäftssinn und seiner permanenten Investitionsbereitschaft für neue christliche Start-Ups, war sich Spittler sehr bewusst, dass er lediglich als «Handlanger Gottes» und nur als ein Angestellter in Gottes Reich beschäftigt ist. Immer wieder musste er seinen eigenen Elan bremsen, um Gottes Absichten nicht «vorauszueilen». Die wirkliche Innovationskraft für seine Projekte bekam der Tausendsassa, allerdings nicht aus sich selbst heraus, sondern er formulierte Erfolge wie folgt:

«Wir müssen eben warten, bis sich eins ums andere entwickelt. Unser Glaube muss geübt und ins Gebet getrieben werden, eher er siegen kann.»

Welch ein «ideenreicher Tausendsassa und innovativer Start-Up Gründer» Spittler wirklich war, bringt die Todesanzeige eines Missionsblattes der Baslermission 1867 auf den Punkt:

«Als Sekretär der deutschen Christentumsgesellschaft gingen ihm durch die Korrespondenz und die persönliche Bekanntschaft mit vielen Gottesmännern erst recht die Augen auf über das unermessliche Elend der Menschheit und über die Liebe und Kraft Gottes und Jesu Christi. Dies ergriff er mit fester Glaubenszuversicht und tatkräftiger Liebe; und hingebungsvoll, furchtlos, in hohem Grad erfinderisch, unermüdlich, unwiderstehlich, wie er von Natur aus schon war, und durch Gottes Gnade immer mehr wurde, schritt er nun an die Gründung einer menschenfreundlichen und christlichen Anstalt nach der anderen: Pläne sinnend, Freunde für sie suchend und gewinnend, Gelder sammelnd, Komitees organisierend; wenn die Sache im Gang, sich zurückziehend; wenn sie ins Stocken geraten wollte, wieder hervortretend und abermals verschwindend, aber bis ins hohe Alter und bis aufs Sterbelager die Überzeugung festhaltend, immer noch mehr könne und solle und müsse geschehen für das Heil der Verlorenen, und das sei sein von Gott ihm angewiesener Beruf.»

Christian Friedrich Spittler war ein begnadeter Netzwerker, ein Organisationsgenie und Meister im Sammeln von Spenden. Immer wieder suchte er nach Antworten auf die Not seiner Zeit. Sein Lieblingswerk wurde die 1840 von ihm gegründete Pilgermission St. Chrischona in Bettingen.

Christian Seitz

Christian Seitz

Regionalleiter Mitte

Christian lebt in Zug, ist verheiratet und hat drei Kinder. Zur Region Mitte gehören Gemeinden in den Kantonen Aargau, Bern, Luzern, Schwyz, Uri, Zürich und Zug. Seine Leidenschaft gilt den Zweirädern, motorisiert oder nicht.

Die herausfordernde Gründerzeit

Die herausfordernde Gründerzeit

Die herausfordernde Gründerzeit

© Alessandro Gallo / CC BY-SA

Zukunft braucht Herkunft. Im Rahmen einer Serie setzen wir uns daher mit unseren Wurzeln auseinander. Wir beleuchten Persönlichkeiten und Umstände, die für unsere Gründerzeit prägend waren. Teil 1 widmet sich den Umständen, in die hinein die ersten Gemeinden gegründet wurden.

Wir leben in einer Zeit zahlreicher gesellschaftlicher, ethischer und politischer Herausforderungen. Vergessen wir dabei nicht: In solchen Zeiten und für solche Zeiten wurden die ersten Chrischona Gemeinden gegründet.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war in der Schweiz eine Zeit mit enormen Herausforderungen: 1847 kämpften im Sonderbundskrieg Schweizer auf Schweizer Boden gegen Schweizer. 1848 wurde der Staatenbund Schweiz in einen Bundesstaat umgewandelt. Diese politische Errungenschaft musste in den folgenden Jahrzehnten verdaut, eingeübt und gefestigt werden. 1871 floh die französiche „Bourbaki-Armee“ mit 87‘000 Mann vor den Deutschen in die Schweiz, was grosse Anforderungen mit sich brachte.

Die Industrialisierung förderte eine starke Landflucht, Umverteilung und Zunahme der Bevölkerung. Durch den Bau des schweizerischen Eisenbahnnetzes wurde der Transport von Waren und Personen revolutioniert. Gleichzeitig mussten bis 1877 aufgrund der tiefen Löhne oft auch Frauen und Kinder bis zu 90 Stunden pro Woche arbeiten. Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Erfindungen, aber auch von grassierender Armut und moralischen Niedergängen.

1855 und 1867 wurde die Schweiz von Cholera-Epidemien heimgesucht, die jeweils mehrere hundert Tote forderten. Die Tuberkulose raffte im 19. Jahrhundert in Europa jährlich Hunderttausende dahin.

In einem Kulturkampf wurde der Einfluss der Kirche auf das neue liberal-säkulare Staatswesen eingeschränkt. Im Zuge des „Apostolikumsstreits“ wurde die Verpflichtung auf das Apostolische Glaubensbekenntnis in den evangelischen Landeskirchen in den 1870er-Jahren aufgehoben. Dies führte dazu, dass nicht-liberale Pfarrer und Gläubige (die sich nicht auf die aufkommend historisch-kritische, rationalistische Theologie einlassen wollten) sich von den Landeskirchen distanzierten und neue Gemeinschaften gründeten: Unter anderem ab 1872 Chrischona Gemeinden.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab der Glaube an Jesus zahlreichen Menschen wie dir und mir die Kraft, mit solchen Herausforderungen und Möglichkeiten umzugehen und konstruktiv auf sie einzuwirken. Ihre Zuversicht, weil sie an Christus glaubten, hatte Auswirkungen auf ihr Denken, Reden und Handeln. Sie verkündeten das Evangelium und legten praktisch Hand an.

Unsere Wurzeln liegen in einer Zeit, deren Herausforderungen nicht kleiner waren als unsere heutigen. In solchen und für solche Zeiten: Chrischona Schweiz.

Christian Haslebacher

Christian Haslebacher

Regionalleiter Ostschweiz und Vorsitzender

Christian ist verheiratet mit Annette, hat drei Kinder und lebt im Thurgau. Er ist neben seinem Job als Regionalleiter auch Vorsitzender des Leitungsteam von Chrischona Schweiz. Er liebt gute Diskussionen.