Auch ein Gottesdienst-Verbot wäre eine Chance

Auch ein Gottesdienst-Verbot wäre eine Chance

Auch ein Gottesdienst-Verbot wäre eine Chance

 © iStock.com/cordeschi, Bearbeitung: Josias Burgherr

Werden wir in den kommenden Wochen und Monaten unsere Gottesdienste weiterhin im gewohnten Stil durchführen können? – Dass wir uns heute, in Zeiten des Corona-Virus Covid-19, mit solchen Fragen auseinandersetzen, hätten wir noch vor wenigen Wochen kaum für möglich gehalten. Aber jetzt unterliegen unsere Gottesdienste ab einer gewissen Teilnehmerzahl staatlicher Bewilligungspflicht. Und wir sind aufgefordert, besonders gefährdeten Personen abzuraten, an unseren Gottesdiensten teilzunehmen. Wie können wir Gemeinde leben, wenn sich die Gemeinde (oder ein namhafter Teil davon) nicht mehr im gemeinsamen Gottesdienst treffen kann?

Wenn wir uns nicht mehr im Grossen treffen können, tun wir das, was die Gemeinde die letzten 2000 Jahre bis heute immer wieder tat: Wir treffen uns in Kleingruppen. Wenn sich die Gemeinde nicht im „Kirchenhaus“ treffen kann, trifft sie sich in „Hauskirchen“. Wenn sich die Gemeinde nicht zentral zu Gottesdiensten treffen kann, trifft sie sich dezentral zu Gottesdiensten. Dies kann je nach Situation die ganze Gemeinde betreffen oder besonders gefährdete Teile der Gemeinde.

Das ist nicht einfach eine Notlösung, sondern kann viel Positives bewirken!

  • Kleingruppenleiter/innen und andere Gemeindeglieder werden in der Wahrnehmung ihrer geistlichen Bevollmächtigung gefördert.
  • Einer gewissen Tendenz, als Nachfolger/innen Jesu die geistliche Selbstverantwortung an die Gemeinde und den Pastor zu delegieren, wird entgegengewirkt.
  • Beziehungen in Kleingruppen werden vertieft. Neue Kleingruppen werden gebildet und sofort intensiv gelebt. Die Tragfähigkeit des Kleingruppennetzes wird konkret erlebt und gestärkt.
  • Die Gemeinde wächst als Ganze in ihrer Mündigkeit, Bevollmächtigung und Agilität. Im Rahmen der Kleingruppen werden Begabungen entdeckt und gefördert.

Gottesdienste im kleinen Rahmen mit 2 bis 12 Personen können inspirierend sein:

  • Zeit der Anbetung mit Liedern und gesprochenen Gebeten:
    Liedtexte können über einen Fernseher oder Beamer projiziert oder auf Liedblätter gedruckt werden. Präsentationen und Liedblätter können von der Gemeinde zur Verfügung gestellt werden.
    Dies kann ganz ohne musikalische Begleitung geschehen oder mit Begleitung durch eine Gitarre, ein Klavier, CDs, Streaming, youtube-Videos oder Livestream beziehungsweise Aufnahmen der Gemeinde.
    Es könnte auch eine gute Erfahrung sein, Liturgieblätter mit Liedtexten und im Wechsel gelesenen Bibeltexten und Gebeten anzubieten.
  • Die Predigt kann in Bild und Ton aufgenommen und via Internet zur Verfügung gestellt oder per Livestream empfangen werden. Danach kann man sich als Gruppe darüber austauschen.
    Alternativ dazu kann man gemeinsam einen Bibeltext oder einen Abschnitt aus einem geistlich-theologischen Buch lesen und darüber austauschen.
  • Als Gruppe kann man füreinander beten, Eindrücke austauschen und sich gegenseitig segnen oder auch salben.
  • Vor oder nach solch „gottesdienstlichen Elementen“ kann man gemeinsam etwas Einfaches essen und so die Gemeinschaft pflegen.

All dies kann auch unter Einbezug von Kindern geschehen, wie ich dies selbst schon öfters erlebt habe. Zu all dem können Pastoren und Pastorinnen die KleingruppenleiterInnen entsprechend schulen, bevollmächtigen und ermutigen. Dadurch werden Pastoren und Pastorinnen noch ausgeprägter zu Multiplikatoren und Multiplikatorinnen, was sie ja sowieso sein sollen.

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin ein Fan von inspirierend gestalteten Gottesdiensten als Gesamtgemeinde! Ich glaube, dass sie eine Ausstrahlung in unsere Gesellschaft haben können und dass geistliche Erfahrungen oft gemeinschaftliche Erlebnisse sind. Aber falls wir solche Gottesdienste für eine gewisse Zeit nicht erleben dürfen, können wir in dieser Situation Dinge fördern, die uns später, wenn wir uns wieder mit Freude gemeinsam treffen, immer noch gut anstehen werden.

Es gibt also keinen Grund, in Angst vor einer möglichen Auf-Eis-Legung unserer gemeinsamen Gottesdienste zu erstarren. Nein, falls es soweit kommt, liegt es an uns, trotz realen Herausforderungen die Chancen zu sehen und zu nutzen. So werden wir gestärkt aus dieser Situation hervorgehen – als Einzelpersonen, als Kleingruppen und als Gemeinden.

Christian Haslebacher

Christian Haslebacher

Regionalleiter Ostschweiz und Vorsitzender

Christian ist verheiratet mit Annette, hat drei Kinder und lebt im Thurgau. Er ist neben seinem Job als Regionalleiter auch Vorsitzender des Leitungsteam von Chrischona Schweiz. Er liebt gute Diskussionen.

Nur so hat Kirche Bedeutung

Nur so hat Kirche Bedeutung

Nur so hat Kirche Bedeutung

Sorasak Butdee © 123RF.com

„Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie für andere da ist.“

Diese bekannte Aussage von Dietrich Bonhoeffer bedeutet mindestens zwei Dinge:

  1. Kirche ist Teil der Gesellschaft und hat einen Auftrag an der Gesellschaft. Sie ist FÜR andere da.
  2. Kirche unterscheidet sich von der Gesellschaft. Sie ist für ANDERE da.

In der Geschichte der Kirche wurde immer wieder einer dieser zwei Aspekte auf Kosten des anderen überbetont. Es handelt sich dabei aber eigentlich um Polaritäten, die aufeinander bezogen sind. Wir brauchen immer beide Seiten dieser Polaritäten, denn darin liegt wie bei einer Batterie mit ihren zwei Polen die Energie. Mit nur einem Pol wird man wirkungslos, sowohl als Batterie als auch als Kirche.

Weitere Aussagen, die diese Polaritäten beschreiben, lauten:

 

Pol 1 Pol 2
Kirche ist in die Welt gesandt. (Joh 20,21; 17,11; Mat 28,18-20) „Kirche“ bedeutet „die Herausgerufene“. (Mt 11,28-30; Joh 17,14)
Kirche bedarf der ständigen Erneuerung. Kirche steht auf dem Fundament der Bibel und von Christus. (Eph 2,20)
Kirche ist Teil der Gesellschaft und muss sich auf ihr kulturelles Umfeld einlassen. Kirche soll mit ihren Werten und Überzeugungen die Gesellschaft prägen.
Kirche dient sozial-diakonisch. Kirche verkündigt ihre Botschaft, das Evangelium.
Kirche geht auf die gegenwärtigen Probleme ein. Kirche öffnet einen Horizont, der über dieses Leben hinausgeht.
Kirche ist mit ihrem Handeln am Puls der Zeit. Kirche ist mit ihrem Ohr am Herzschlag Gottes.
Kirche trägt ihrem Umfeld in Form, Handeln und Sprache Rechnung. (1Kor 9,19-25) Kirche hat den Mut, auch unpopulär zu sein. (Joh 15,18-20)
Kirche setzt sich mit aktuellen Fragestellungen und gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander. Kirche orientiert sich an der Bibel und ihren ethischen Aussagen.
Kirche wird vom Geist Gottes geprägt, dem Geist der Liebe. Kirche wird vom Geist Gottes geprägt, dem Geist der Wahrheit.
Kirche vertritt die Botschaft, dass wir geliebt und angenommen sind, wie wir sind. Kirche vertritt die Botschaft, dass wir in die uns zugedachte Würde hineinwachsen sollen.
Kirche muss Glaubensaussagen immer wieder neu formulieren. Kirche muss akzeptieren, dass Glaubensaussagen in der Gesellschaft nicht immer mehrheitsfähig sind.
Kirche ist „Salz der Erde“. Salz wirkt aus der Nähe. Kirche wendet sich der Welt selbstlos zu. (Mt 5,13) Kirche ist „Licht der Welt“. Licht wirkt aus einer gewissen Distanz und zeigt die Dinge, wie sie sind. Kirche bekennt sich zum Weg, zur Wahrheit und zum Leben, wie sie dies erkannt hat. (Mt 5,14-16; Joh 14,6)

 

Wie gesagt: Wir brauchen immer beide Seiten dieser Polaritäten. Die ersten Aussagen kommen ohne die zweiten ebenso schief wie die zweiten Aussagen ohne die ersten. Die Energie liegt immer in beiden, nie nur in einer Aussage.

Soweit ich die gegenwärtigen Entwicklungen wahrnehme, sind heute vor allem die ersten Aussagen im Trend. Dass beispielsweise ungeborenes, altes und krankes Leben, Sexualität sowie die Ehe und Familie eine schützenswerte Würde besitzen, scheint altbacken zu sein. Vergisst die Kirche jedoch die zweiten Aussagen, wird es ihr auf Dauer auch nicht möglich sein, die ersten zu leben. Eine Kirche, die Ihre Botschaft, Überzeugungen und Werte zu stark der Gesellschaft anpasst, verliert ihr Profil, ihre Fähigkeit zu prägen, ihr Unterscheidungsmerkmal und schlussendlich ihre Relevanz und Bedeutung für die Gesellschaft. Sucht die Kirche ihre Gesellschaftsrelevanz am falschen Ort, verliert sie ihre Bedeutung leider ganz.

Auf den Einwand, dass sich vor allem freikirchliche Gemeinden zu lange auf die zweiten Aussagen konzentriert hätten, antworte ich: Ob man links oder rechts vom Pferd fällt, spielt im Endeffekt keine grosse Rolle. Das Ziel ist, auf dem Pferd zu sitzen. Wer sich bei den zweiten Aussagen zuhause fühlt, wird sich auf die ersten konzentrieren müssen. Wer vor allem die ersten Aussagen schätzt, wird die zweiten speziell beachten müssen. Reiten kann man nur auf dem Pferd und Energie gibt es nur mit beiden Polen der Batterie.

Die Kirche muss sich gleichzeitig von der Gesellschaft unterscheiden und sich auf sie einlassen. Nur so hat Kirche Bedeutung.

Christian Haslebacher

Christian Haslebacher

Regionalleiter Ostschweiz und Vorsitzender

Christian ist verheiratet mit Annette, hat drei Kinder und lebt im Thurgau. Er ist neben seinem Job als Regionalleiter auch Vorsitzender des Leitungsteam von Chrischona Schweiz. Er liebt gute Diskussionen.